Ertüchtigung von Hochwasserschutzeinrichtungen
Ziel der Maßnahme
Sanierung des in die gartenkünstlerische Gestaltung des Schlossparks Luisium einbezogenen Deiches (Ringdeich/Hadrianwall) unter besonderer Berücksichtigung der Anforderungen des Denkmalschutzes
Einleitung
Der Schlosspark Luisium bei Dessau, Teil des UNESCO-Welterbes Gartenreich Dessau-Wörlitz, ist in der Auenlandschaft von Elbe und Mulde gelegen. Der ursprünglich als „Vogelherd“ bezeichnete Ort diente seit 1753 dem damaligen Erbprinzen und späteren Fürst Franz von Anhalt-Dessau als Landsitz. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts erfolgte eine Umgestaltung zum Landschaftspark. Wahrscheinlich entstand zu dieser Zeit eine Eindeichung, welche den Ursprung der heutigen Hochwasserschutzanlagen bildet.
Dieser Ringdeich, der den heute so bezeichneten „Innenpark“ (Landschaftsgarten mit Schloss sowie Wirtschaftsgarten mit Orangerie und Gehöft) umschließt, ist in die Parkgestaltung integriert. Ein auf der Deichkrone umlaufender Weg („belt walk“) bietet vielfältige Aussichten in den Park sowie in die Umgebung. Im Westen und Südwesten ist ein größeres Teilstück an der Außenseite durch eine vorgeblendete Trockenmauer stabilisiert und wurde schon in der Entstehungszeit als „Hadrianwall“ in Anspielung auf das römische Grenzbefestigungssystem zwischen Schottland und England gedeutet. Dieser Deichabschnitt bildet zugleich ähnlich dem Prinzip eines „Aha“ die Trennung zwischen dem Park und der angrenzenden Gestütskoppel ohne die visuellen Verknüpfungen zwischen beiden zu stören. Die historische Hochwasserschutzanlage ist somit ein Bestandteil des Gartendenkmals und besitzt einen ganz besonderen individuellen Zeugniswert.
Bei dem außergewöhnlichen Hochwasserereignis im August 2002 (Jahrhunderthochwasser) wurde der Ringdeich überspült, außerdem drang belastetes Wasser aus Richtung der benachbarten Ortslage in den Park ein. Im Zuge eines umfangreichen Deichbauprogramms des Landes Sachsen-Anhalt wurde der Hauptdeich zwischen Park und Siedlungsgebiet in Regie des Landesbetriebes für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt (LHW) durch Einbau von Spundwänden ausgebaut. Am Ringdeich als vorgelagerter Hochwasserschutzanlage führte die Kulturstiftung Dessau-Wörlitz verschiedene Instandsetzungen und Stabilisierungen aus. Außerdem wurde ein mobiles Schutzsystem beschafft. Bei dem zweiten Jahrhunderthochwasser im Jahr 2013 zeigten sich jedoch Unzulänglichkeiten: an etlichen Stellen sickerte Wasser durch den Deich und musste aufwändig abgepumpt werden. Dadurch wurde die Standfestigkeit des Ringdeichs eingeschränkt, welcher zudem das Mobildeichsystem tragen sollte. Außerdem waren wiederholt Schäden an den historischen Bauten sowie an Wegen und an dem Gehölzbestand des Parks zu verzeichnen. Damit wurde eine zweite Ausbauetappe an dieser Hochwasserschutzanlage notwendig. Als Folgen des Klimawandels werden jahreszeitliche Verschiebungen der Niederschläge, eine Zunahme von Starkregenereignissen und damit eine erhöhte Wahrscheinlichkeit außergewöhnlicher Hochwasserereignisse prognostiziert. Aus den denkmalpflegerischen Erhaltungszielen zur Bewahrung des Gartenreiches Dessau-Wörlitz herausstellten sich besondere Anforderungen an dieses Vorhaben.
Maßnahmenbeschreibung
Auf einer Länge von etwa 950 m wurde der Ringdeich um den Schlosspark Luisium grundhaft instandgesetzt. Dabei wurde eine Innendichtung bis in eine Tiefe von 2 m ausgeführt, ohne das äußere Erscheinungsbild des Walls zu verändern. Neben der Einbindung in die Gartengestaltung und den visuellen Verknüpfungen über den Deich hinweg war dafür vor allem die Erhaltung des auf bzw. an dem Wallkörper befindlichen Baumbestandes maßgebend. Etwa 80 Baumstandorte wurden begutachtet und individuell in der Ausführungsplanung berücksichtigt. Bei Anlage des Schlitzgrabens für die Innendichtung erfolgte eine Sichtkontrolle der freigelegten Wurzeln durch einen Baumsachverständigen. Dünne und statisch nicht relevante Wurzeln wurden dabei fachgerecht geschnitten. Zu erhaltende Starkwurzeln wurden bei Herstellung der Innendichtung des Deiches im Saug-Spül-Verfahren eingebunden, dabei eingemessen und dokumentiert, um später bei etwaigem Abgang der Bäume Vervollständigungen der Dichtung vornehmen zu können. Bei drei auf dem Deich stehenden besonders wertvollen, alten Eichen wurde der Wallkörper landseitig verstärkt. Dies erfolgte durch aufeinandergeschichtete, kiesgefüllte Geotextilschläuche. Diese Verwallungen sind nach Bodenüberdeckung und Rasenansaat im Parkbild kaum wirksam und als temporäre Ergänzungen reversibel. Sie ermöglichen ein Verschwenken der Innendichtung um sensible Wurzelbereiche und sichern im Havariefall (bei einem eventuellen Umstürzen der Altbäume) die Deichlinie. Um die Höhe des Deiches im Interesse der Erhaltung des Parkbildes und der historischen Sichtbeziehungen nicht zu verändern, ist vorgesehen, im Hochwasserfall ein Mobildeichsystem aufzubauen. An bestimmten Stellen sind im Verlauf der Deichkrone Bodenhülsen eingelassen, in denen Abrollsicherungen für die als temporäre Deicherhöhung vorgesehenen, wassergefüllten Schlauchsysteme montiert werden können.
An zwei Stellen kreuzt der Ringdeich den Verlauf eines ursprünglichen Altwassers, dessen Hauptabschnitt als Parkweiher in die Gartengestaltung integriert ist. In diesen Kreuzungsbereichen war auf Grund der kiesigen Bodenverhältnisse eine tiefere Gründung der Dichtung erforderlich (5,50 m). Dort wurden Mikropfahlwände unter Einsatz eines Spezialbohrgerätes in zwei sich überlappenden Baufluchten eingebaut. Um bei zurückgehendem Flutpegel Drängwasser aus dem eingedeichten Park schnell ableiten zu können, wurde auf der Deichsohle ein Siel ergänzt. Weitere Sonderlösungen stellen die Sicherungen der Deichscharten (Durchfahrten) dar. Dort wurden Kopfbalken mit einer Gründung bis in eine Tiefe von ca. 6 m betoniert. Sie tragen die im Hochwasserfall dort aufzusetzenden mobilen Schutzwände.
Im Zuge der Sanierung wurde auch die Natursteintrockenmauer des sog. Hadrianwalles instandgesetzt. Wegen Schäden durch Ausspülungen bei zurückliegenden Hochwasserereignissen, aber auch den qualitativ sehr heterogenen Ergebnissen früherer Reparaturen, war eine grundhafte Erneuerung unumgänglich. Dabei wurde die Profilierung des Wallkörpers wiederhergestellt und zum Schutz gegen Ausspülungen mit einem Geotextil abgedeckt. Die vorgeblendete Natursteinmauer wurde auf verbesserter Gründung mit dem geborgenen Material sowie in Dossierung und Einbaumuster dem historischen Bild entsprechend wieder aufgebaut. Da diese Trockenmauer ein wichtiges Überwinterungsquartier für die Amphibienvorkommen im Revier darstellt (der Park Luisium gehört einem FFH-Schutzgebiet an), wurde eine dieser Instandsetzung zeitlich vorauslaufende Ausgleichsmaßnahme beauflagt (CEF-Maßnahme). An einem nahegelegenen Deichabschnitt, ein heute funktionsloses Relikt einer historischen Ausbaustufe des örtlichen Hochwasserschutzsystems, wurden beidseitig die zwischenzeitlich verloren gegangenen Natursteinmauern auf einer Gesamtlänge von ca. 540 m als Amphibien-Habitate neu angelegt.
Im Zusammenhang mit dieser Deichbaumaßnahme wurde schrittweise auch das Wegesystem des Schlossparks Luisium auf einer Gesamtlänge von etwa 6 km instandgesetzt.
Direkte Effekte
Eine DIN-gerechte Herstellung des Hochwasserschutzdeiches um den Schlosspark Luisium mit Realisierung eines Freibordes von 1 m hätte zu schwersten Beschädigungen des Kulturdenkmals geführt und weitreichende Reduzierungen des Baumbestandes erfordert. Durch konstruktiv an die Prämisse des unbedingten Baumerhalts angepasste Bauweisen sowie die ergänzende Vorhaltung eines Mobildeichsystems zur Kompensation der Differenz zwischen historischer Deichhöhe und heutigem Ausbauziel konnte die Ertüchtigung in denkmalschutzkompatibler Weise realisiert werden.
Eignung / Wertung / Probleme
Mit dem jetzt vorgenommenen Ausbau des Ringdeichs um den Schlosspark Luisium kamen Bauweisen und Methoden zur Ausführung, die auf theoretischen Lösungsansätzen, aber auch auf lokal gewonnenen Erfahrungen basieren. So wurde die um 2008 in einem Teilabschnitt ausgeführte Verfahrensweise zur Verstärkung mit einer Innendichtung fortgesetzt bzw. weiterentwickelt. Die Bestätigung der Funktionalität durch Bewährung im Hochwasserfall steht jedoch derzeit noch aus.
Die Bauplanung sowie die Gestaltung der Ausführung mussten sowohl mit höchsten naturschutzfachlichen als auch denkmalschutzfachlichen Anforderungen in Einklang gebracht werden.
Mit dem jetzigen Ausbaugrad sind wesentliche Erweiterungen des Aufgabenportfolios des Hochwassermanagements zu verzeichnen. So sind die örtlichen Schutzanlagen zu überwachen und die Einbauten für die Aufnahme mobiler Schutzsysteme regelmäßig einer Funktionsprüfung (einschließlich Probeaufbau) zu unterziehen. Durch Aufgrabungen im Normalzustand überdeckter Verankerungen und Gründungen sind damit regelmäßig Investitionen in Wiederherstellungen von Wegeabschnitten und Vegetationsflächen erforderlich. Auch die Vorhaltung, zyklische Funktionsprüfung und ggf. erforderliche Erneuerung von mobilen Schutzsystemen und Ausrüstungsgegenständen durch einen externen Dienstleister bedingt organisatorische und finanzielle Aufwendungen. Hochwasserschutzbelange sind in der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz unterschiedlichen Aufgabenbereichen zugeordnet. In der Verwaltungsabteilung wird die Organisation des Notfalleinsatzes koordiniert (Referat 1.4/Sicherheitskoordinator). Alle übrigen Erfordernisse fallen in die Geschäftsbereiche der Fachabteilungen, hier hauptsächlich in jenen der Abteilung Gärten und Gewässer. Die kontinuierlich anfallenden Aufgaben sind in der bestehenden Organisationsstruktur nicht berücksichtigt und werden „nebenbei miterledigt“. Die Identifizierung neuer oder unter Einfluss von Klimawandelfolgen wesentlich erweiterter Aufgaben erfordert eine entsprechende Absicherung in personellen Kapazitäten und finanzieller Ausstattung der verantwortlichen Körperschaften.
Erfolg
Die Deichausbaumaßnahme wurde 2021 fertiggestellt. Bei dem Winterhochwasser um den Jahreswechsel 2023/2024 wurde der Aufbau eines Teiles der mobilen Schutzeinrichtungen notwendig. Die dabei erlangten Erkenntnisse zur technischen, organisatorischen und logistischen Umsetzung von Hochwasserschutzmaßnahmen im Schlosspark Luisium werden nun ausgewertet und fließen in fortlaufende Optimierungen ein.
Umwelt- und Standortbedingungen / Rahmenbedingungen
Niederschlag:
Jahresmittel im Zeitraum 1991-2020 (Station Dessau): 576,8 mm
Höchster Wert (Station Lutherstadt Wittenberg – für Dessau nicht verfügbar): 786 mm (2007)
niedrigster Wert (Station Lutherstadt Wittenberg – für Dessau nicht verfügbar): 308 mm (2018)
Temperatur:
Jahresmittel im Zeitraum 1991-2022 (Station Dessau): 10,1 °C
höchste Jahresmitteltemperatur (Station Lutherstadt Wittenberg – für Dessau nicht verfügbar): 11,3 °C (2018 und 2019)
niedrigste Jahresmitteltemperatur (Station Lutherstadt Wittenberg – für Dessau nicht verfügbar): 7,5 °C (1996)
Der Park Luisium befindet sich im FFH-Schutzgebiet „Dessau-Wörlitzer Elbauen“.
Autoren
Dipl.-Ing. Michael Keller, Abteilungsleiter Gärten und Gewässer
Investitionskosten
ca. 3,4 Mio. EURO (Deichsanierung), insgesamt Investitionen in Hochwasserschadensbeseitigungen an Baudenkmalen und Park sowie für präventive Maßnahmen i.H.v. etwa 7,6 Mio. EURO (2021)
Fördermittelgeber
Programm zur Hochwasserschadensbeseitigung des Landes Sachsen-Anhalt
Projektlaufzeit
2015-2021 (Deichsanierung)
Download
Weiterführende Links
Weiterführende Literatur
Trauzettel, Ludwig; Klöhn, Nicols A.; Schlegel, Thomas: Deichsanierung im Gartenreich Dessau-Wörlitz. Denkmalpflege im Einklang: Hochwasserschutz in Teilen des Gartenreiches Dessau-Wörlitz. In: wwt Wasserwirtschaft Wassertechnik Nr. 4, 2011 (S. 50-54)
Noack, Peter: Hochwasserschutz und Denkmalschutz im Weltkulturerbe Dessau-Wörlitzer Gartenreich. Erfahrungsbericht aus Sicht eines Bauherrn. In: Hochwasserschutz an historischen Orten. Integration denkmalpflegerischer Belange in wasserbauliche Schutzkonzepte. ICOMOS - Hefte des Deutschen Nationalkomitees Bd. 60, 2015 (S. 90-95). Online unter: https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/icomoshefte/article/view/26518/20227
Schönemann, Sven: Instandsetzung und Prävention. Abschluss der Hochwasserschadensbeseitigung im Park Luisium, Gartenreich Dessau-Wörlitz. In: Denkmalpflege in Sachsen-Anhalt 30. Jg., Heft 1, 2022 (S. 61-73)
Zuständige Schlösserverwaltung
Kulturstiftung Dessau-Wörlitz